Das WIR in medizinischen Einrichtungen
Keine Spezialität einer Praxis sondern weit geübte Tradition der deutschen medizinischen Alltagssprache ist der Gebrauch des Plural, will man eine Patient*in dazu bringen, einer Aufforderung nachzukommen.

So, wir gehen jetzt mal ins Bett, Herr XY, …
Eine deutsche Krankenpfleger*in
Wer sich in medizinischer Alltagssprache nicht gut auskennt, könnte versucht sein, sich hier einer ganz plumpen und unverschämt direkten Anmache ausgesetzt zu sehen. Hilfreich, dass den meisten Patient*innen in dieser Situation wohl bewusst ist, dass sie aktuell situativ aufgrund ihrer Gebrechlichkeit nicht die Ausstrahlung von sich geben, die eine Pfleger*in zur Verführung animieren könnte.
Auch, wenn eine bereits etwas adipösere Besucher*in meiner Praxis den unvermeidlichen Gang zur Körperwaage mit den Worten antreten muss:

So, wir gehen dann gleich mal auf die Waage!
In meiner Praxis
… dann hoffe ich immer darauf, dass sie nicht Angst hat, das Gewicht der Fachkraft auch noch mitbuchen lassen zu müssen, wenn es den beiden denn überhaupt gelingt, gemeinsam auf der kleinen Fläche der Waage Platz zu finden.
Dabei trägt dieses WIR nicht nur etwas sprachlich Verwirrendes sondern etwas entschieden Solidarisches in sich: Was sein muss, das machen wir gemeinsam, ich bin bei DIR, wenn Du machst was ich Dir sage.
Also vielleicht doch ein nettes Stilmittel deutscher medizinischer Fachsprache? Vielleicht. Aber nur, wenn die Patient*in nicht auf die Doppeldeutigkeit einer Aussage einsteigt:
Ach, Schwester, heute gehe ich mal alleine ins Bett, aber morgen sind Sie herzlich eingeladen…!
Dreiste Antwort
Dann nämlich ist es schnell AUS mit der solidarischen Haltung, die eigene Akte erhält einen Eintrag und irgendwie ist die wohlwollende Stimmung dahin…