Es gibt Tage, da wird man angesichts der Erwartungen an die eigene Profession einfach überfordert …

Eine nette 88Jährige erscheint in der Praxis zur ‚Routinekontrolle‘. Ich liebe Routinekontrollen! Je älter und gebrechlicher eine Patient*in, desto mehr.
Routinekontrollen verstopfen den Praxiskalender wie Kleber ein Getriebe. Sie haben häufig den Sinngehalt einer Matrizenpresse (Wer erinnert sich noch an die blauen Durchschläge von Arbeitsblättern in der Schule?). Wie ein buddhistisches Mantra wiederholen sich die Arztbriefe, dass soweit alles stabil und kein Progress zu sehen ist. Und ähnlich wie bei einem Gebet wird die Tradition des Arztbesuches hochgehalten und gepflegt.
Nun gut, die ‚junge Dame‘ schließlich hat bei der Untersuchung das alte leicht angeschlagene Herz einer 88jährigen, die Ventile sind etwas undicht, der Motor stottert, schwach aber stetig läuft er trotzdem so dahin. Wie lange ist ungewiss.
Zum Abschlussgespräch hat sich schon der Sohn der Patientin angemeldet. Ich erwarte – wie so oft – einen Mann in den besten Jahren, der seine Mama als Zentralgestirn seines Universums verklärt und deswegen ängstlich auf jede ungute Nachricht wartet.
Weit gefehlt! Ich erkläre die Story vom alten Motor mit den undichten Ventilen und der fehlenden Kompression in schönem Medizinisch und ernte eine mit breitem Grinsen vorgebrachte herablassende Antwort:
Das brauchen Sie mir doch nicht zu sagen, dass habe ich schon selbst gewusst. Das ist ja nix Neues!
Habe ICH die Mama herbestellt zur Routinekontrolle? Nein, die Mama kam von sich aus. Der Sohn wollte unbedingt zum Abschlussgespräch dazu kommen. Was also war ihm so wichtig zu erfahren?
Wenn Sie das alles schon genau so vorher wussten, dann sagen Sie mir doch, was Sie gerne von mir Neues erfahren wollen?
Die Lottozahlen von nächster Woche …!
Ach so! Da habe ich heute wieder eine echte Niete gezogen. Obwohl die Kalkulation einer Prognose zu meinen Aufgaben gehört, bei Lotto musste ich leider passen …